Wenn Du regelmäßig einen Windows-PC benutzt und blind oder sehbehindert bist, dann hast Du mit großer Wahrscheinlichkeit schon von NVDA gehört. In dieser Einführung möchten wir Dir die Grundlagen von NVDA erklären und Dir damit ein mächtiges Werkzeug näher bringen, das Dich bei der Computerarbeit unterstützen kann.
Die Wahl des Screenreaders ist eine sehr persönliche Angelegenheit, und mit der Zeit entwickelt jeder seine ganz individuellen Arbeitsabläufe. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Dein eigener PC gar nicht so sehr von Deinen eigenen vier Wänden. Beide sind Räume, in denen sich Dein Stil und Deine Vorlieben manifestieren. Daher soll es hier auch nicht darum gehen Dir einzureden, ein bestimmter Screenreader sei besser als der andere. Nichts soll aus Deiner Trickkiste entfernt werden – im Gegenteil: Es kommen wertvolle Arbeitstechniken hinzu. So ist es nicht unüblich, NVDA als zweiten Screenreader zu installieren und bei Bedarf zu starten, wenn der primäre Screenreader sich einmal nicht wie gewünscht verhält.
Diese Einführung wendet sich insbesondere an Menschen, die bereits von NVDA gehört haben, jedoch noch nicht den Mut aufgebracht haben, sich näher damit zu beschäftigen. Die Skepsis rührt meist daher, dass es sich bei NVDA um einen relativ jungen Screenreader handelt, dem anfangs noch ein gewisser Ruf des Hackertums oder Hobbyprojekts anhaftete. Dieser Ruf hat sich teilweise bis in die Gegenwart gehalten, obwohl NVDA sich mittlerweile zu einem vollwertigen, nach zeitgemäßen Methoden der Softwareentwicklung gepflegten Screenreader gemausert hat. NVDA ist wichtig genug, dass beispielsweise Google es explizit im Zusammenspiel mit seinen Web-Anwendungen wie Gmail und Google Docs empfiehlt.
Was ist NVDA?
NVDA steht für “Non-Visual Desktop Access”, also für nichtvisuellen Zugang zum Desktop. Mit dem Wort “Desktop” sind hier natürlich nicht nur die Symbole auf dem Windows-Desktop gemeint, sondern das gesamte Betriebssystem einschließlich installierter Anwendungen. NVDA bietet, genau wie andere Screenreader, Zugang zu Browsern wie Chrome und Firefox, Office-Anwendungen wie Word und Outlook sowie zum allseits beliebten Skype. Wie alle gängigen Screenreader unterstützt auch NVDA die Ausgabe über eine Braillezeile.
Hauptsächliche Besonderheit: NVDA ist frei, und zwar in dreierlei Hinsicht:
- Frei von Kosten: Jeder darf NVDA kostenlos herunterladen. Die Entwickler bitten um Spenden, um die Entwicklungskosten zu decken, jedoch findet keinerlei Zwang statt, und die Nutzung von NVDA ist auch ohne Gegenleistung in vollem Umfang möglich. Damit ist gewährleistet, dass jeder unabhängig von seinen finanziellen Möglichkeiten hochqualitativen Zugang zu Computertechnik erhält.
- Frei von Einschränkungen: Jeder darf NVDA beliebig einsetzen, solange dieselbe Freiheit dadurch für andere nicht eingeschränkt wird und auch ansonsten kein Gesetz übertreten wird. Juristisch wird dies durch die General Public License (GPL) geregelt. Selbstverständlich musst Du Deinen Arbeitgeber fragen, bevor Du NVDA auf einem Firmenrechner installierst.
- Quelloffen: Der gesamte Quellcode von NVDA, also der Text des Programms selbst, ist frei zugänglich. Programmierer können diesen Programmtext studieren um zu lernen, wie NVDA intern funktioniert, sowie beliebige Änderungen durchführen, immer unter der Voraussetzung, dass sie diese dann ebenfalls frei verfügbar machen. Auch dieser Aspekt wird durch die GPL geregelt.
Voraussetzungen für diese Einführung
Um dieser Einführung mit größtmöglichem Gewinn folgen zu können, solltest Du NVDA bereits auf Deinem PC installiert haben. Falls Du beabsichtigst, NVDA nur als Zweit-Screenreader auszuprobieren, solltest Du darauf achten, dass NVDA so konfiguriert wird, dass es nicht beim Windows-Start oder bei der Anmeldung automatisch ausgeführt wird. Wenn Du Dir die selbständige Installation von NVDA noch nicht zutraust, dann empfiehlt es sich, einen Experten Deines Vertrauens zu bitten, diese für Dich zu erledigen. Diesem Experten solltest Du auf jeden Fall mitteilen, ob Du NVDA als ersten oder zweiten Screenreader verwenden wirst, damit Dein freundlicher Helfer während der Installation die richtigen Häkchen setzt.
Hinsichtlich der Systemvoraussetzungen sollte NVDA auf nahezu jedem Windows-PC mit angeschlossenem Lautsprecher oder Kopfhörern funktionieren, vorausgesetzt er läuft mindestens mit Windows 7. Windows XP wird mittlerweile nicht mehr unterstützt.
NVDA herunterladen
Um NVDA herunterzuladen, besuche bitte folgende Webseite mit einem Browser Deiner Wahl:
Die Seite ist derzeit leider nur in englischer Sprache verfügbar. Lass Dich davon nicht irritieren, und suche zunächst die Auswahlschalter für die Spendenhöhe, um einen von ihnen zu markieren. Einer dieser Auswahlschalter ist mit “Skip donation this time” beschriftet und dient dazu, die Spende für den Moment zu überspringen. Dies kannst Du ganz ohne schlechtes Gewissen tun, denn die Spende kannst Du jederzeit bei Gefallen nachholen.
Suche nun nach einem Eingabefeld. In dieses trägst Du Deine E-Mail-Adresse ein, wenn Du über Neuerungen informiert werden möchtest. Keine Sorge, Du wirst nicht mit unerwünschter Werbung zugetextet, und die Eingabe der E-Mail-Adresse ist nicht unbedingt erforderlich.
Aktiviere nun die Schaltfläche “Download”. Falls Du Dich zu einer Spende entschlossen hast, öffnet sich nun eine PayPal-Seite zur Abwicklung der Transaktion. Danach, oder wenn Du nicht spendest, startet der Download von NVDA.
Installieren oder Probieren?
Wenn Du nun die heruntergeladene Datei startest, ertönt das musikalische NVDA-Logo, und danach beginnt NVDA mit Dir zu sprechen. Dabei meldet sich NVDA automatisch in der Sprache Deines Betriebssystems, so dass Deine Englischkenntnisse nun nicht mehr länger auf die Probe gestellt werden. Unter Windows 7 ist die Sprachausgabe etwas gewöhnungsbedürftig. Das liegt daran, dass eine in NVDA integrierte Stimme namens Espeak zum Einsatz kommt, die zwar blechern und robotisch klingt, jedoch den Vorteil hat, sehr ressourcenschonend zu sein und somit auch auf langsamen Rechnern mit wenig Arbeitsspeicher flüssig zu laufen. In einem späteren Teil dieser Einführung werden wir darauf eingehen, wie Du natürlichere Stimmen installieren und mit NVDA verwenden kannst.
Zunächst musst Du nun die Lizenzbedingungen akzeptieren, selbstverständlich nachdem Du sie Dir vorher genau durchgelesen hast. Durch Drücken von Tab gelangst Du zu dem Kontrollfeld “Akzeptieren”, das Du mit der Leertaste aktivieren kannst. NVDA bestätigt dies mit der Ansage “Aktiviert”.
Nun stehen Dir vier Schalter zur Verfügung, zu denen Du ebenfalls mit Tab gelangst. Den Schalter “Portable Kopie erstellen” sparen wir uns für einen späteren Teil auf. Die übrigen drei haben die folgenden Bedeutungen:
- “NVDA auf diesem Computer installieren”: Dieser Schalter erklärt sich von selbst. NVDA wird fest installiert, so dass es standardmäßig beim Start von Windows und nach der Anmeldung automatisch gestartet wird. Ebenfalls wird standardmäßig eine Desktopverknüpfung für NVDA angelegt, und die Tastenkombination Strg+Alt+N wird für den Start von NVDA definiert. Während der Installation erscheint eventuell ein Dialog, in welchem Windows Dich fragt, ob NVDA Änderungen an Deinem Computer vornehmen darf. Dieser Dialog wird nicht immer vorgelesen, kann aber meist mit Alt+J (für ja) bestätigt werden.
- “Ohne Installation fortsetzen”: NVDA wird nicht installiert, bleibt jedoch aktiv. Falls dies Deine erste Erfahrung mit NVDA ist, dann ist diese Funktion die beste Möglichkeit, einen Testlauf durchzuführen, ohne NVDA gleich einen festen Platz auf Deinem Rechner zuzuweisen. Sobald Du NVDA beendest und Deinen Rechner neu startest, verschwindet NVDA rückstandslos von Deinem System.
- “Beenden”: Beendet NVDA sofort und ohne weitere Nachfrage.
Einrichten einer Braillezeile
Wenn Du eine Braillezeile besitzt und ein wenig Glück hast, dann erkennt NVDA die Braillezeile beim Start automatisch. Du erkennst dies daran, dass die Zeile sofort mitläuft. Sollte dies nicht der Fall sein, so erfährst Du vom Hersteller des Gerätes, ob und wie die Einrichtung mit NVDA möglich ist.
Der Willkommensdialog
Ganz gleich ob Du NVDA fest installierst oder nur mal reinschnupperst, erscheint beim ersten Start der Willkommensdialog. Hier kannst Du die folgenden Einstellungen vornehmen:
- Tastaturschema: Hier stehen Dir die Optionen “Desktop” und “Laptop” zur Verfügung. Beim Desktop-Schema liegen viele wichtige Funktionen auf dem Nummernblock. Das Laptop-Schema solltest Du wählen, wenn Deine Tastatur, wie die meisten Laptop-Tastaturen, keinen Nummernblock besitzt.
- Dauergroßschreibtaste als NVDA-Taste verwenden: Viele NVDA-Befehle sind Kombinationen der so genannten NVDA-Taste mit einer oder mehreren weiteren Tasten. Deshalb ist es wichtig, dass Du genau weißt, welche Tasten als NVDA-Tasten bezeichnet werden. Standardmäßig ist die NVDA-Taste die Einfügetaste des Nummernblocks. Da diese auf manchen Tastaturen entweder gar nicht existiert oder schwer zu finden ist, solltest Du in solchen Fällen auch die Dauergroßschreibtaste als NVDA-Taste definieren. Dies ist die Taste direkt oberhalb der Umschalttaste.
- NVDA automatisch nach der Anmeldung starten: Dieser Haken bestimmt, ob NVDA jedesmal, wenn Du Dich bei Windows anmeldest, automatisch gestartet werden soll. Du solltest ihn setzen, wenn Du NVDA als Haupt-Screenreader verwenden möchtest. Diese Einstellung steht nur bei fest installiertem NVDA zur Verfügung.
- Das dritte und letzte Kontrollkästchen bestimmt, ob der Willkommensdialog beim Start von NVDA weiterhin angezeigt werden soll.
Finde Deine NVDA-Taste
Falls jemand die Installation von NVDA für Dich durchgeführt hat, dann bitte diese Person Dir zu erklären, wo sich Deine NVDA-Taste befindet. Wenn Du NVDA selbst eingerichtet hast, dann hast Du durch die Wahl des Tastaturschemas und das entsprechende Häkchen im Willkommensdialog diese Entscheidung getroffen. Nun ist es an der Zeit, die NVDA-Taste auszuprobieren.
Versuch es: Drücke und halte die NVDA-Taste, drücke F12, und lass beide Tasten los. Wenn es funktioniert hat, wird Dir nun die Uhrzeit angesagt und auch auf der Braillezeile angezeigt, wenn Du über eine solche verfügst.
Um Dir das aktuelle Datum ausgeben zu lassen, drückst Du F12 zweimal, bevor Du die NVDA-Taste wieder loslässt. Übe am besten ein paarmal die Eingabe dieser beiden Befehle, bis Du Dich im Umgang mit der NVDA-Taste sicher fühlst.
Sprachausgabe unterbrechen
Mit der STRG-Taste kannst Du die Sprachausgabe von NVDA jederzeit unterbrechen. NVDA bleibt stumm, bis Du den nächsten Befehl gibst oder ein Ereignis eintritt, über das es Dich informiert, z.B. eine Meldung, die von selbst auf dem Bildschirm erscheint.
Während STRG sich wie eine Stopptaste verhält, funktioniert die Umschalttaste, auch als Shift bekannt, eher wie eine Pausetaste. Wenn Du die Umschalttaste drückst, wird die Sprachausgabe pausiert, um bei nochmaligem Drücken der Umschalttaste genau dort fortzufahren, wo Du sie unterbrochen hast.
Eingabehilfe
Die Eingabehilfe ist ein Modus, in dem Du Dich mit den Tasten und ihrer Bedeutung vertraut machen kannst, ohne befürchten zu müssen, versehentlich einen unerwünschten Befehl zu geben. Solange die Eingabehilfe aktiv ist, werden alle Tasten, die Du drückst, nur angesagt, die zugeordneten Befehle werden jedoch nicht ausgeführt.
Um die Eingabehilfe zu starten, drücke NVDA+1, d.h. halte die NVDA-Taste gedrückt, und drücke dann die Zahl 1 auf der Tastatur, also die Taste direkt über dem Q, nicht die 1 auf dem Nummernblock. Drücke nun nach Belieben Tasten und Tastenkombinationen, um deren Namen und Bedeutung zu erfahren. Vorsicht: Einige Befehle werden auch bei aktivierter Eingabehilfe ausgeführt, weil sie direkt von Windows behandelt werden, ohne dass NVDA hierbei ein Mitspracherecht hätte. Dazu zählt z.B. Strg+Alt+Entfernen.
Um die Eingabehilfe wieder auszuschalten, so dass die Tasten wieder ihre normale Bedeutung erhalten, drücke einfach erneut NVDA+1.
NVDA starten und beenden
Wenn Du NVDA auf Deinem Computer installiert hast, kannst Du es normalerweise durch Drücken von Strg+Alt+N starten. Nach einer aufsteigenden Folge von vier Tönen beginnt NVDA zu sprechen. Sollte der Start länger als üblich dauern, erhältst Du eine “Bitte warten”-Meldung.
Mit derselben Tastenkombination Strg+Alt+N kannst Du NVDA auch dann neu starten, wenn es bereits läuft. Sollte NVDA einmal abstürzen und nicht mehr reagieren, holst Du Dir damit in den meisten Fällen den Screenreader zurück.
Um NVDA zu beenden, drücke NVDA+Q. Es erscheint ein Dialogfeld mit der Frage “Was möchten Sie tun?” Wenn Du nun die Eingabetaste drückst, wird NVDA beendet.
Ausblick
Das war’s für den Anfang! Wenn Du bis hierher mitgemacht hast, dann hast Du bereits einiges über NVDA gelernt. Im nächsten Teil beschäftigen wir uns mit einer großen Stärke von NVDA: Dem Surfen im World Wide Web. Bis dahin: Gut Bit und keinen Stromausfall!