So sollte Barrierefreiheit niemals aussehen

Arnold Schnittger
NIX TABALUGA
MIT ROLLI AUS DEM PLANETARIUM GEFLOGEN
Ein schlechter Tag heute. Wir haben Karten für Tabaluga im Planetarium Hamburg.
Nico freut sich wie Bolle. Bereits eine Stunde vorher sitzen wir im Cafe und Nico quietscht vor Vergnügen. 
Kurz vor dem offiziellen Einlass bringt uns ein muffeliger Mitarbeiter über den Fahrstuhl in den Saal. 
Auf den gebuchten Plätzen, wo auch der Rollstuhl nicht stört, dürfen wir nicht sitzen. Brandschutz!
Es gibt extra Rollstuhlplätze, werden wir belehrt. 
Na schön, im Planetarium kann man wegen der Rundumsicht überall gut sehen. Der Muffel zeigt uns die Plätze.
Nico will gerade vom Rollstuhl in den Sessel umsteigen, als er abrupt daran gehindert wird. “Das ist verboten! Er muss im Rolli sitzen bleiben!”, fährt uns der Muffel an. 
“Warum das denn?” “Brandschutz!”
“Wir können ihn nicht retten, wenn es brennt!”
“Sie brauchen ihn nicht retten, ich rette meinen Sohn selbst! Oder denken Sie ich warte hier bis Sie uns wegtragen?”
Wir leben immer soviel Normalität, wie es geht. Und für Nico bedeutet es auch ein Stück Lebensqualität, dort sitzen zu dürfen, wo andere auch sitzen. So machen wir das im Restaurant, im Kino, im Theater, in der Kirche … Es bedeutet für einen behinderten Menschen auch ein Stück  Würde. Dazuzugehören! Das gehört zum Teilnehmen, das gehört zum Teilhaben, das gehört zum Leben. 
Unser Einwand, dass Nico sogar, wenn auch mit Assistenz laufen kann, geht ins Leere. Auch mein Hinweis, dass ich lediglich drei Sekunden benötige um Nico im Brandfall wieder in den Rolli zu setzen. 
Der Rolli steht ja direkt neben Nico. 
“Da dürfte er auch nicht stehen bleiben. Dann müsste er raus! Und dann können wir ihren Sohn nicht mehr retten!”
“Sie sagten doch, das sei ein Rollstuhlplatz?” 
“Ja, aber wenn niemand drin sitzt, versperrt er den Fluchtweg!”
“Also, wenn mein Sohn darin sitzt, versperrt er nicht den Fluchtweg?” “Nein, so sind die Brandschutzbestimmungen. Sie hätten sich informieren müssen.”
“Wo denn?” “AGB’s” “Darin steht aber nicht, dass ein Behinderter den Rolli nicht verlassen darf!” “Ich habe meine Vorschriften, wenn Sie das nicht akzeptieren, müssen Sie den Saal verlassen!”
Nico protestiert lautstark, denn das Besondere am Planetarium ist, dass die Sitze nach hinten geklappt werden, damit man den 360 Grad Panoramafilm auch sehen kann. Das ist im Rolli unmöglich.
Wir gehen! Nico verleiht seinem Unmut lautstark Ausdruck.
An der Kasse wollen wir die AGB’s einsehen. Kann uns der Projektleiter leider nicht zeigen.
Geld ist natürlich auch futsch. Tickets werden nicht zurückgenommen. 
Von gutgemeinten Kurzreferaten über Brandschutz sowie Sätzen, wie “auch Behinderte müssen Regeln einhalten”, bitte ich freundlichst abzusehen. Auch ich finde Brandschutz immens (Über-)lebenswichtig. Auch ich möchte nicht, dass mein Sohn aufbrennt. Aber wenn eine öffentliche Einrichtung, wie das Planetarium, für Millionen saniert  und mit dem Prädikat “barrierefrei” versehen wird, gehört ein wenig mehr dazu als einfach bloß zwei Sitze zu entfernen, auf dem die Behinderten dann abgeschoben werden. Und wenn ein Fluchtweg für Behinderte nur über einen Fahrstuhl zu erreichen ist, könnte das Gesamtkonzept gern neu und lösungsorientiert durchdacht werden.
Ein schlechter Tag für uns.
Ein schlechter Tag für die Inklusion!
Weil wir schon nach wenigen Minuten so viele freundliche Kommentare erhalten haben ein kleiner Nachsatz:
Es geht nicht um uns. Nicos Mamma und ich sind erhobenen Hauptes aus dem Saal gegangen. Wir können uns wehren und wir werden das Eintrittsgeld auch zurückfordern.
Es geht um die Ausgrenzungen von Menschen mit Behinderungen, die heute, trotz der UN-Behindertenkonvention noch immer in unserer Gesellschaft stattfindet. Dagegen wehren wir uns. Darüber beschweren wir uns. Wir, die wir laufen können, uns bewegen können, wie wir es möchten, haben auch die Verpflichtung denen beizustehen, die unsere Hilfe bedürfen. Das nennt man Mensch sein! Danke für diese vielen Mut machenden Zuschriften.